W&P Kommentar
München, 19.04.2016

Ernährung 4.0: Revolution ohne Messer und Gabel

Kommentar von Jürgen Michael Gottinger, Mitglied der Geschäftsleitung bei W&P
Jürgen M. Gottinger
Mitglied der Geschäftsleitung 

Der kulinarische Alltag von heute: Coffee-to-go im Auto, Croissant und Smoothie in der U-Bahn, ein Fruchtsalat mittags am Arbeitsplatz und schließlich ein geliefertes Dinner. Die Essgewohnheiten der Deutschen haben sich in den letzten fünf Jahren so gravierend verändert wie nie zuvor. Doch das Tempo wird sich noch beschleunigen und erhebliche Struktur- und Geschäftsmodellveränderungen für Industrie und Handel mit sich bringen. Verursacher, Treiber und Voraussetzung für diese Modifikationen: Die Digitalisierung. Sie bringt Trends und entsprechende Folgen mit sich.Wettbewerbsverlagerung: Vom Handelsregal auf die "Straße"
Der Nahrungsmittelkonsum wird sich zunehmend in die Öffentlichkeit verlagern: Heute finden 14% des Nahrungsmittelkonsums öffentlich statt, bis 2020 wird sich dieser Anteil auf 24% beinahe verdoppeln.Die Folge? Nahrungsmittel müssen  verzehrfähig, auf die Umgebung abgestimmt und mit  optimierten Verpackungen für einen sauberen Verzehr am Arbeitsplatz oder unterwegs angeboten werden. Die Essensplanung erfolgt sprachgesteuert über das Smartphone, das Menüvorschläge basierend auf individuellen Verbrauchergewohnheiten unterbreitet. In Zukunft entscheidet nicht mehr die Belegung des Regalplatzes im Supermarkt über den Umsatz für Hersteller und Handel, sondern der direkte Zugang zur Entscheidungssituation des Konsumenten.Selbstkontrolle: Gezielte Nahrungsmittelauswahl
Verbraucher wollen (in Zukunft) wissen: Wie viele Kalorien stecken eigentlich in einer  Verzehr-Einheit? Die empfohlene Kalorienaufnahme und Informationen darüber, wie sich die Ernährung auf das Körpergesamtgewicht auswirkt, müssen individualisiert zur Verfügung stehen. Dabei sind die körperliche Beanspruchung, Ausgangsgewicht, Geschlecht, Bedarf an Vitaminen und Spurenelementen und andere Variablen wichtige Ausgangsparameter für die persönliche Bilanz der Ernährung. Die Folge? Nahezu alle heute verfügbaren Ernährungs-Apps werden überflüssig - stattdessen geben intelligentere Apps  Antworten darauf, wie der Konsum tagesgenau aussehen sollte und welche Nahrungsmittel den angestrebten Fitnesszielen dienlich sind.Gesundheitsbewusstsein: Informationsbasierte Ernährung
Herstellverfahren, Kontrollen auf mögliche Schadstoffe bzw. Schadstofffreiheit von bekannten Toxinen wie Glyphosat und ggf. gesundheitsgefährdende Bestandteile wie Antibiotikarückstände -  diese Informationen sind künftig auf Konsumentenseite gefragt.  Die Folge? Verantwortungsvolle Hersteller werden diese Informationen zur Verfügung stellen. Zusammen mit Daten über individuelle Körpermerkmale und Informationen aus Wearables können temporäre oder dauerhafte Mangelzustände oder Überversorgungen (z.B. mit Zucker) dargestellt werden. Das Ernährungsverhalten von ca. 50% der Bevölkerung könnte damit theoretisch verbessert werden. Damit einher geht einerseits die Ausweitung des Marktvolumens für Produkte z.B. Mineralwasser, andererseits geraten beispielsweise Kategorien wie Softdrinks (CSD) unter verstärkten Druck geraten.Hot-Spot-Präsenz: Jeder gegen jeden
Je weniger Vorratswirtschaft die Verbraucher betreiben und je häufiger die Entscheidung über den Nahrungsmittelkonsum unabhängig von Ort und Tageszeit getroffen werden, desto wichtiger wird die Präsenz der Anbieter auf den relevanten Verbrauchermedien potentieller Kunden. Die Folge? Für Hersteller, Restaurants, Lieferservices und den stationären Handel wird die Präsenz in der Entscheidungsphase über die nächste Mahlzeit zum A&O. Bei der Bindung des Verbrauchers konkurriert jeder gegen jeden: Die Auffindbarkeit des Konsumenten an bestimmten Hot-Spots und der Zugriff auf seine Standortdaten wird mit bevorzugter Behandlung bei der Tischreservierung, tageszeitbezogenen Preisen in Restaurants oder Gutscheinen belohnt.Convenience: "Food by the moment"
Die steile Absatzentwicklung von Convenience-Produkten ist getrieben durch veränderte Konsumgewohnheiten. Fokus heute: Das Versorgungsangebot bezogen auf die individuelle Konsumsituation (Lust, Frust, Gesundheit, Genuss, Slow und Fast) -"Food by the moment". Gestützt durch die Digitalisierung fallen Entscheidungen zum Nahrungsmittelkonsum sehr spontan, Verbraucher können jede Konsumvorstellung immer kurzfristiger verwirklichen. Die Folge? Informationen zu Produktion, Inhaltsstoffen, Nährwerten, Bezugsquellen der Rohstoffe müssen von Herstellern digital zur Verfügung gestellt werden, der digitale Beipackzettel ist bald Realität. Treueprämien werden durch digitale Markierungen einzelner Produkte individuell steuerbar. Konditionen, die heute noch undifferenziert an die Handelskonzerne ausgeschüttet werden, gehen an den Verbraucher. Auch der stationäre Handel wird sich auf diese Veränderungen einrichten, indem er sich zeitlich flexibel positioniert und Services anbietet, die ihn stärker differenzieren. Yummy new world!
 
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