W&P Kommentar
München, 30.07.2019

Zentrale und dezentrale Führung?

Kommentar von Philipp P. Prechtl, Mitglied der Geschäftsleitung bei Dr. Wieselhuber & Partner
Philipp P. Prechtl
Mitglied der Geschäftsleitung 

In Zeiten immer stärkerer Vernetzung von Funktionen, Geschäftsbereichen und Ländern rückt eine strukturierte Führungsorganisation als relevanter Erfolgsfaktor stärker in den Vordergrund. Entscheidend ist der Grad der Zentralisierung. Während eine zentralisierte Führung eher in hierarchisch organisierten Unternehmen mit einem hohen Streben nach maximaler Effizienz durch Standardisierung von Prozessen und Entscheidungen gekennzeichnet ist, steht bei dezentral geführten Unternehmen die Flexibilität der Geschäftsbereiche, Ländergesellschaften u. ä. eigene Entscheidungen treffen zu können im Fokus. Doch in der richtigen Ausgestaltung, gerade auch der Zentralbereiche, gibt es erhebliche Unterschiede.

Der richtige Zentralisierungsgrad – ein Balanceakt
Kompakt zusammengefasst geht es bei der Frage des Zentralisierungsgrades darum, die Beherrschung von Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit bei starker Markt- und Kundenorientierung durch dezentrale Organisationsformen gegenüber zentralen Organisationsformen abzuwägen, die auf economies of scale und Ganzheitlichkeit des Unternehmens ausgerichtet sind. Gerade bei mittleren Unternehmen ist zudem die Frage der Managebarkeit der Struktur noch mit zu beachten. Denn bei starker internationaler Orientierung und gleichzeitig schlanken Strukturen ergibt sich schnell eine Überlastung des verantwortlichen, evtl. sogar Allein-Geschäftsführers. Einheitslösungen oder Blaupausen sind dabei, wie so oft, mit Vorsicht zu genießen. Vielmehr ist die individuelle Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens maßgeblich.

Doch auch wenn hohe Effizienzvorteile und eher geringe Marktnähe eine Zentralisierung nahe legen, gibt es mehr als nur eine Möglichkeit der Strukturierung. Denn gerade in diesem Bereich haben sich Verständnis und Ausgestaltung der Zentraleinheiten erheblich verändert.

Zentralbereiche dienen nicht nur der Kosteneffizienz
Die Entscheidung Funktionen zu zentralisieren, ist oft stark synergie-, kosten- und effizienzgetrieben. Neuere organisatorische Überzeugungen gehen jedoch darüber hinaus. Demnach liegt der Fokus auch auf der Schaffung von Mehrwert für das Unternehmen durch die zentralisierten Bereiche. Dazu gehört auch die zunehmende Messung der Leistungsfähigkeit (Input-Output- Relation) der Zentralbereiche über internes und externes Benchmarking.

Auf die richtige Eingliederung kommt es an
Abhängig von der Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens und auch der gewünschten Funktion der Zentralbereiche können völlig unterschiedliche Eingliederungen der Zentralfunktionen sinnvoll sein:

  • Als direkte Stabstelle am Vorstand kommt maximale Zentralisierung zum Tragen. Zudem hat der Vorstand direkten Zugriff auf die Zentralbereiche, sofern erforderlich.
  • Gerade wenn gegenüber dem „Business“ auch die „Serviceorientierung“ der zentralen Bereiche zum Ausdruck gebracht werden soll, bietet sich die Ausgliederung in eine Servicegesellschaft an. Die Messbarkeit und der Vergleich mit Dritten kommen hier am klarsten zur Geltung.
  • In stark dezentralen Geschäften kann es auch sinnvoll sein, die Zentralfunktionen an die jeweiligen Teilbereiche, z. B. Landesgesellschaften zu hängen. Der Grad der Autonomie wird damit weiter verstärkt und ermöglicht. Selbstredend nehmen jedoch die möglichen Effizienzeffekte einer vollständigen Zentralisierung ab. 

Dimensionierung und Leistung müssen geprüft werden
Nicht selten geraten Zentralbereiche in Unternehmen von Seiten des „operativen Business“ unter Druck. Der Vorwurf mangelnder Effektivität und Effizienz ist häufig zu hören. Während z. B. der Vertrieb am Erreichen der Umsatzziele gemessen wird, fehlen diese Zielvorgaben und Anreize in Zentralfunktionen oft. Eine echte Bewertung des Erfolgs findet demnach nur selten auch quantitativ statt. Insofern gilt es von Anfang an, die wirtschaftliche Dimensionierung der Zentralbereiche im Auge zu behalten. Folgende Leitfragen können Orientierung geben:

  • Ist der Zentralbereich in der Lage, einen bedarfsgerechten Service zu bieten? W Sind die Leistungen des Zentralbereichs mit den Leistungen externer Anbieter verglichen worden und wurde die Möglichkeit eines Outsourcing analysiert?
  • Ist es kostengünstiger, die Leistung zentral zu erstellen und nicht in den operativen Einheiten?
  • Besitzt der Zentralbereich Know-how oder sonstige spezielle Fähigkeiten, die ein externer Anbieter oder der Geschäftsbereich nicht bieten kann?
  • Ist der Zentralbereich in der Lage, die betreffende Funktion im Vergleich zu einem externen Anbieter kosteneffizient anzubieten?
  • Bietet der Zentralbereich seine Funktionen zu Konditionen an, die auch in marktlichen Kunden- Lieferanten-Beziehungen gelten würden? Wenn die Konditionen davon abweichen, warum tun sie dies?
  • Inwieweit sind die Mitarbeiter in den Zentralbereichen in der Lage, eine der Pro-Kopf-Wertschöpfung in der Konzerngruppe adäquate Leistung zu erbringen?

Die systematische Beantwortung dieser Fragen und damit die Prüfung der Leistungsfähigkeit der Zentralfunktionen sollte also genauso Kernbestandteil bei der Gestaltung der Organisation und der Zentralisierung von Bereichen sein, wie die Frage der möglichen Synergien. Dazu gehört eine konsequente Beurteilung der Leistung, verbunden mit geeigneten Anreizsystemen, Bonuszahlungen und Beurteilungsgesprächen – genau wie in den zum Markt gerichteten Unternehmensfunktionen eben auch.

Die Frage ob die Führungsorganisation eher zentral oder eher dezentral organisiert werden sollte, kann nicht pauschal beantwortet werden und sollte sich auch nicht an Unternehmensvorbildern ausrichten. Fest steht: Es gilt regelmäßig (auch ohne konkreten Anlass) das richtige Maß an Zentralität und Dezentralität zu überprüfen. Gerade die Zentralisierung der Zentralbereiche weist deutlich mehr als eine Spielart auf. Zudem gilt es konsequent an der Leistungsfähigkeit und Effizienz dieser Abteilungen zu arbeiten – auch um die „kulturelle“ Balance zwischen marktnahen und zentralen Bereichen zu wahren.
 
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