Die Markenmärkte sind im Umbruch. Der extreme Variantenreichtum an Produkten großer Marken, der in den letzten Jahren vorherrschte, wird bald der Vergangenheit angehören. Denn: Markenartikler verlassen auf der Suche nach neuen Wachstumsquellen jetzt ihre traditionellen Marktsegmente und greifen in neuen Bereichen den Wettbewerb offen an. Anbieter von Milch und Käse dringen in den Markt für Kaffeeprodukte ein, Segmentspezialisten für Desinfektion entern die Welt der Wäschespüler, Coffee-To-Go-Marken werden im Einzelhandel gelistet. Konsequenz: Um nicht der Invasionsstrategie der "neuen" Wettbewerber zum Opfer zu fallen, werden bis zu einem Drittel aller namhaften Konsumgüterhersteller diesem Trend folgen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Umfrage von Dr. Wieselhuber & Partner unter 24 namhaften Unternehmen der Konsumgüterindustrie.
Die qualitativen Telefoninterviews, für die im Oktober 2011 das Top-Management führender deutscher Markenartikelhersteller Rede und Antwort stand, zeigen: Das Variantenventil war in der Vergangenheit in den gesättigten Märkten notwendig, um sich von den Handelsmarken abzuheben und leicht zu wachsen. Während der Absatz oftmals stagnierte und in den letzten drei Jahren im Inland kumuliert um circa 4 % wuchs, nahm die Variantenvielfalt um circa 15% zu. Die so entstandene "Variantenblase", zum Beispiel im Convenience-Bereich der Ernährungsindustrie, kam die Hersteller teuer zu stehen. Produktions-, Verpackungs-, Distributions- und Vertriebskosten stiegen überproportional zu Absatz und Umsatz. Zusätzlich mussten Varianten stark beworben werden, um überhaupt aufzufallen und der Handel forderte bei sinkendem Umschlag durch Varianteninflation zusätzlich Konditionen. Steigende Rohstoffkosten beeinflussten die Situation zudem negativ. Ergebnis: Die Margen in den entwickelten Märkten waren höchstens konstant, zum Teil auch rückläufig.
Die befragten Insider sind sich einig: Auf der Suche nach neuen Wachstumsquellen in bestehenden Segmenten wird man weder im Inland noch in den entwickelten Märkten Europas, Asiens, Nordamerikas sowie zunehmend in den Schwellenländern allzu schnell fündig. Ein fundamentaler Strategiewechsel steht an, bei der die Invasion in große Marktsegmente, die derzeit von anderen starken Marken besetzt sind, im Vordergrund stehen wird.
Im Gegensatz zu früheren Strategievarianten ist dieser Wechsel riskant: Er erfordert einen hohen Einsatz an Ressourcen für Werbung und Kommunikation; zugleich sind Kooperationsstrategien in der Produktion notwendig. Denn in der Regel liegen die Produktionsexperten in einer benachbarten oder entfernten Branche. Gottinger dazu: "Künftig muss die Marke als Waffe im Verdrängungswettbewerb stärker eingesetzt und ihre Potentiale für den Erfolg instrumentalisiert werden", weiß Jürgen Gottinger, Branchenexperte und Initiator der Umfrage. "Das Motto lautet deshalb: Nicht kleckern sondern klotzen! Schließlich wurden über Jahre für einen hohen Marken-Bekanntheitsgrad erhebliche Mittel investiert - jetzt müssen sich diese Mittel bezahlt machen."
Demnach sollten sich Markenartikel-Hersteller vor allem die Vertrauensbasis der Verbraucher zu Nutze machen, um die Glaubwürdigkeit für neue oder andere Problemlösungen zu erhöhen. Der hohe Bekanntheitsgrad der Marke ist dabei Grundvoraussetzung. Erkennbar starke Kernkompetenzen, die stabile Nutzenerwartungen des Verbrauchers adressieren sowie ein - in der Wahrnehmung der Verbraucher - leicht zu transportierender Differenzierungsansatz, sind dabei erfolgsentscheidend. Grundsätzlich sind Invasionsstrategien in benachbarte Segmente leichter, von der Körperpflege zur Kosmetik ist es nicht ganz so weit und die Kernkompetenzen tragen leichter. Darüber hinaus sind im Rahmen der Umsetzung von Invasionsstrategien eine Reihe ergänzender und neuer Methoden für "Vergeltungsmaßnahmen, Flankenangriffe, Outmaneuvering" notwendig. Bestehende Ansätze müssen weiter professionalisiert werden.
"Der hohe Ressourceneinsatz und die Tatsache, dass die eigene Marke im Feuer steht, macht ein umfängliches quantitatives, qualitatives und vor allem kreatives Know-how für die erfolgreiche Umsetzung der neuen Markenstrategien unabdingbar", so Gottinger. Auch Unternehmerpersönlichkeiten werden künftig als "changeagent" am sensiblen Erfolgsfaktor Marke stark gefordert sein.
Bei Rückfragen zu weiteren Ergebnissen der Umfrage stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.