Gute Nachrichten zum 500. Geburtstag des Reinheitsgebots? Im vergangenen Jahr entwickelte sich der Biermarkt seit langem wieder mengenmäßig und im Umsatz relativ konstant. Feierstimmung herrscht unter Brauern trotzdem nicht, denn: Langfristig gesehen zeigt das Konsumniveau für Bier weiterhin nach unten. Hat es sich von 2005 bis 2014 bereits um 7,3 % im Pro Kopf-Verbrauch reduziert, prognostizieren die Experten von Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) einen weiter sinkenden gesamten Inlandskonsum von bis zu 1,5% jährlich. Hauptursache: Die demographische Entwicklung. Weiterer Beschleuniger ist der anhaltende Preisverfall, verursacht durch Promotions im Handel. Die Turbulenzen rund um die Entdeckung von Pestiziden im Volksgetränk haben auch keinen positiven Einfluss auf die Marktentwicklung. Potenziale sind rar - aber vorhanden: In Spezialsegmenten ist Wachstum noch möglich.
Während in anderen europäischen Ländern die Bevölkerung zunimmt, brechen bis 2060 den Brauereien im Inland rund 14% potenzielle Konsumenten weg. Auch die heutigen "Best Ager", die ursprünglich im Biersegment für einen positiven Kohorten-Effekt sorgten, verzichten aus Gesundheitsgründen zunehmend auf alkoholische Getränke. Die anhaltende Wertvernichtung durch Preispromotions im Handel trübt zusätzlich die Stimmung. Die "Fernsehbiere" der größten deutschen Brauereien, darunter viele aus dem wichtigsten Teilmarkt Pils, nähern sich wieder bedrohlich der %u202810 Euro Marke. "Die Preisspirale zieht wieder spürbar an, nachdem im letzten Jahr Hoffnung bestand, dass die notwendige Preiserhöhung endlich durchgesetzt wird. Dies erstickt die leisesten Hoffnungen auf eine Trendwende im Keim", weiß Jan-Fredrick Stahlbock, Branchenexperte bei W&P.
Neben der anhaltenden positiven Entwicklung für alkoholfreies Bier, sieht W&P Chancen für Marktwachstum in Spezialsegmenten. Während laut Nielsen einst populäre Sorten wie Export (-6,0%) oder Dunkel/Schwarzbier (-12,1%) deutlich Mengen verlieren, können Spezialitäten wie Helles (+11,3%), Land- und Kellerbiere Zuwächse verbuchen. Ein Grund: Die steigende Popularität regionaler Spezialitäten und Craft Beer. Denn auch wenn kleinere Brauereien (bis 100 Tsd. Hektoliter Ausstoß) von 2006 bis 2015 einen Ausstoßrückgang (in hl) von 12% hinnehmen mussten - auf dem regionalen Level, mit einem hohen Anteil an Fassbier/Gastromengen, konnten sich viele aus der Preisvergleichbarkeit retten. Mikrobrauereien mit einem Ausstoß von unter 1 Tsd. Hektoliter, konnten als einziges Segment im gleichen Zeitraum mit 15,4% Volumenplus wachsen. "Auch wenn "Craft Beer" ein geringes Marktvolumen aufweist - der 41 prozentige Anstieg der Neugründungen im Segment der Kleinstbrauereien von 508 im Jahr 2005 auf heute 717 Brauereien zeigt: Die "Lokal-Strategie" geht auf!", so Jürgen Gottinger, Mitglied der Geschäftsleitung bei W&P.
Allerdings hat der Start in das neue Jahr auch gezeigt, dass der Biermarkt trotz aller Berufungen auf das Reinheitsgebot, vorübergehend mit dem angeknacksten Vertrauen der Verbraucher zu kämpfen hat. Die aktuellen Turbulenzen, verursacht durch Pestizide im Volksgetränk, trafen insbesondere die großen Marken. Jedoch messen die Berater der Glyphosat-Entdeckung eine nicht allzu negative Bedeutung bei. Die Vergangenheit habe schließlich gezeigt, dass sich das Vertrauen der Verbraucher wieder herstellen lasse - einen direkten Einfluss auf die Marktentwicklung erwarten sie deshalb nicht.
Ihr Fazit lautet dennoch: Die Geburtstagsfeierlichkeiten zum Reinheitsgebot dürften nicht allzu rauschend werden. Denn trotz der positiven Entwicklung im Spezialitäten-Bereich kann der Rückgang der Großbrauereien langfristig nicht gestoppt werden. Events wie die Fußball-Europameisterschaft beeinflussen diesen Trend - abhängig vom Wetter und Erfolg der deutschen Mannschaft - wenn überhaupt nur kurzfristig zum Positiven.
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