W&P Kommentar
München, 30.05.2018

Familienunternehmen und der Reiz des Vergangenen

Kommentar von Gustl F. Thum, Experte für Familienunternehmen bei Dr. Wieselhuber & Partner GmbH
Gustl F. Thum
Experte für Familienunternehmen 

Change, Evolution, Transformation, Disruption, Revolution – nichts bleibt beim alten und panta rhei in unserer sich globalisierenden und digitalisierenden Weltwirtschaft. Aber nicht jeder nimmt dies so an und lotet darin neue Chancen aus – da gibt es auch diejenigen, die versuchen Mauern zu bauen und Vorhandenes zu zementieren. Sozialwissenschaftler sprechen hier vom Phänomen der organisatorischen Nostalgie. Was steckt dahinter?

Im Kern: Angst. Die Angst, nicht mit dem Neuen, das sie problematisch und befremdlich erleben, mithalten zu können. Die Angst, Erarbeitetes zu verlieren. Da kommt so ein idealisiertes Vergangenheitsbild gerade recht. Da werden dann die „guten alten Zeiten“ an den Unternehmenslenkern früherer Zeiten, ehemaligen Mitarbeitern oder Firmengebäuden festgemacht und alles Neue steht schlichtweg für den Verrat an den traditionellen Werten des Unternehmens, nicht etwa für eine natürliche Erneuerung oder gar für Aufbruchscharakter.

Das „Heimweh“-Gefühl als etymologische Wurzel von Nostalgie (nostos = Heimkehr/algos = Schmerz) scheint also aus der Wissenschaftstheorie kommend in der Unternehmenspraxis angekommen: Der Bewahrer trifft auf die jung-dynamische Entscheidergeneration von morgen, die sich modern, digital und agil zwischen den möglichen Zukunftswelten bewegt.

Der Sozialwissenschafter Walter-Busch sieht nostalgische Gefühle bei Führungskräften als klares Alarmsignal für die Unternehmensführung, das sich anhand von verminderter Einsatz- und Risikobereitschaft bis hin zu destruktiver Kritik am Status quo gegenüber anderen Angehörigen der Organisation zeigt.

Für Familienunternehmen in ihrer oftmals noch stark inhaber-lastigen Prägung durchaus prekär, denn kein Entwicklungsprozess kann ohne die Überzeugung und aktive Unterstützung der Unternehmensführung nachhaltig greifen. Erschwerend kommt für Familienunternehmen noch dazu, dass heute mehr denn je Innovationskraft und Kreativität zentrale Erfolgsfaktoren sind und zigfach Nachfolgen mit notwendiger Interpretation der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens anstehen. Aber wie bitte soll man den „geistigen Wohnort der Organisation“ in die Zukunft verlagern, wenn „diese Bewahrer“ auf der Bremse des Fortschritts stehen?

Lösungen wie altersheterogene Lern- und Arbeitsstrukturen und intergenerative Führungsstrukturen sind das eine. Aber weitaus wichtiger scheint mir angesichts des konstant uns umgebenden Wandels das Bewusstsein der Entscheider darüber, dass es diese Nostalgiker in der eigenen Organisation geben kann und sie mitgenommen werden sollten - denn schon Dante erkannte in seiner göttlichen Komödie: „Kein Schmerz ist größer, als sich der Zeit des Glückes zu erinnern, wenn man in Elend ist.“ Diesen Schmerz in den Griff zu bekommen und sinnvoll aber sensibel lösen, wird den Blick und das Einlassen auf das jetzt und hier wieder ermöglichen.
 
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